Rockin' London

Morgens an der Abbey Road auf den Spuren der Beatles, abends Eric Clapton live in der Earls Court Arena: Erlebnisse zwischen Andacht und Herzklopfen

Auf die Perspektive kommt es an! Bürgersteig rechts, Bürgersteig links, dann gegenüber - nichts stimmt. Fest steht: Man muß die Abbey Road sperren, wenn man - ohne sich vor Autos zu werfen - vier Leute genau wie einst die Beatles auf dem berühmten Zebrastreifen fotografieren will. Aber wer will das schon? London hat schließlich genug Motive zu bieten. Mir nicht! Ich will über die weißen Streifen und in die Studios. "No touristic area", sagt indigniert der Angestellte in der Eingangshalle. Hier werde ernsthaft gearbeitet. Genau das will ich ja sehen! Keine Chance: Man muss George Martin, Alan Parsons, Jeff Beck oder Phil Collins heißen (und ein bißchen Kleingeld mitbringen), sonst bleiben die Türen der berühmten Abbey Road Studios zu.

Seufzend kritzele ich einen kurzen Gruß neben die 1000 anderen auf dem Mauersockel vor dem unscheinbaren Haus im Stadtteil St. John's Wood. Das Mäuerchen wird regelmäßig übertüncht. Weiß allerdings bleibt es nie lange. Vor der Fan-Graffiti kommt Andacht auf: Hier gingen die berühmten Pilzköpfe ein und aus, hier lärmten hysterisch die Mädchen, alle wichtigen Beatles-Platten sind in diesen Studios entstanden, nicht nur die "Abbey Road". Das berühmte Plattencover haben die Red Hot Chily Peppers später verballhornt, sogar Paul McCartney benutzte es erneut. Er läuft auf dem Abbey-Road-Cover als einziger barfuß über den Zebrastreifen - und prompt vermuteten Fans in aller Welt darin Symbolik. Paul sei in Wahrheit tot, wurde wild interpretiert. Im Alter von 50 Jahren bewies er der Welt mit der subtil veränderten Zebrastreifen-Hülle für sein Album "Paul Is Live", dass sowohl er als auch der Überweg überlebt haben.

Unzählige Geschichten dieser Art hat Olly Rudolf auf der Pfanne. Wenn er nicht zufällig Geschäftsführer im Bonner Reisebüro "Fernweh" wäre, könnte er glatt als guide in Sachen Rock auftreten. In London. Was er vor Jahren auch getan hat. Weil er selber total verrückt nach rockigen Sounds ist und ihn der Reisebüro-Job allein nicht befriedigte, gründete er 1992 in Bonn "rocktours". Er wollte auch andere in den Genuss bringen, ihre Lieblingsinterpreten live in der Hauptstadt der Rockmusik zu erleben. Erfahrungen hatte er da schon genug gesammelt, denn schon Anfang der 80er Jahre spürte er mit seinem Kumpel Walter Ulbrich in London dem Rock 'n' Roll nach. Und nun bietet "rocktours" Kurzarrangements mit Flug, Übernachtung und Eintrittskarten zum Pauschalpreis, die Rocktour durch London und ein Clubbesuch inbegriffen. Eine Idee, die zündete. Ziemlich schnell sogar. Denn zuerst SWF 3 und dann auch der WDR sprangen mit Preisausschreiben auf den Zug oder besser in den Flieger ins Rockmekka. Das je nach Auftritt auch schon mal in Las Vegas (Fleedwood Mac) oder New York (Kiss) liegen kann. Meistens aber ist London gefragt. Konzerte der Rolling Stones, von Rod Stewart, Sting oder - wie in diesem Fall - Eric Clapton lassen unverbesserliche Rockfreunde zum Telefonhörer greifen und mit Olly ein Wochenende planen.

Olly plant gern, auch ganz individuell. Viele Ausflügler in Sachen Rock'n'Roll sind schon Stammkunden. Etwa der Arzt aus Düsseldorf, der zwecks Entspannung zu den Events der großen Rockstars bis nach Vancouver jettet und zu Hause eine Plattensammlung besitzt, die kaum noch ergänzt werden muß. Oder zwei Paare aus dem Fränkischen, die außer dem Clapton-Konzert auch noch ein "Where's Eric"-Fanclub-Meeting im Club "Halfmoon" besuchen wollen. Und ein Schweizer, der sich, weil's schneller geht, mit der Concorde von Paris zu einem Stones-Auftritt in New York fliegen läßt. Alle freuen sich über einen Ausflug zu "Beanos", einem Secondhandshop in Croyden, der günstig Ausgefallenes auf Vinyl offeriert. Sie durchstöbern gern die Plattenläden in Notting Hill oder sehen sich auf dem quirligen Camden Lock Market, Europas größten Flohmarkt, um. Am Flughafen haben sie als erstes das Magazin "Time Out" gekauft: Was ist an diesem Wochenende los in den Clubs - nur das zählt. Nicht ganz: Einer will sich die Picasso-Ausstellung in der Royal Academy anschauen. Rocknostalgiker sind eben nicht unbedingt Puristen. Aber ein bisschen crazy schon.

Was wir im Stadtteil Kensington an der Themse wollen, ist dem Busfahrer nicht ganz klar. Abschätzig grient er vor sich hin, als wir fasziniert auf vier hohe Schornsteine gucken. Er weiß eben nicht, dass die Battersea Power Station für Pink-Floyd-Fans schlicht Kult ist. David Gillmore interessierte sich als Architekturstudent für das Kraftwerksgebäude, benutzte es als Cover für "Animals" - mit dem rosa Plastikschwein, das sich dereinst losriss und die Lotsen im Heathrow-Tower das Fürchten lehrte - und als eine Art Logo für Pink-Floyd-Tourneen. Auch The Who haben die vier Schornsteine auf der Plattenhülle für "Quadrophenia" verewigt. Heute gehört das Industriedenkmal einem Japaner, der hier ein Hotel etablieren will - vorausgesetzt, es gelingt ihm, seine Finanzprobleme zu lösen.

In Kensington am Logan Place wohnte Freddy Mercury. Die abschreckend hohe Backsteineinfassung rund um das Haus zieren bunte Graffiti. Unzählige Fans des an Aids gestorbenen Queen-Sängers haben sich hier verewigt. Auch die Rolling Stones haben Spuren hinterlassen. Mick Jagger besitzt ein Haus am noblen Cheyne Walk (Nr. 48), Keith Richards' Gitarre hängt neben vielen anderen Erinnerungsstücken im Hard Rock Café an der Park Lane, vor dem Fans gelassen bis zu zwei Stunden Schlange stehen, ehe sie eintreten dürfen. Hard Rock Cafés gibt es mittlerweile rund um den Globus und auch in Berlin, aber in London entstand die erste dieser kultigen Mischung aus Kneipe, Museum und Andenkenladen.

Ex-Stones-Bassist Bill Wyman, der kürzlich erst in Köln auftrat, gehört die Restaurant-Kette "Sticky Fingers". Das Londoner Domizil (1 A Philimore Gardens) bietet außer Hamburgern zu erklecklichen Preisen und dem "Honky-Tonk-Cocktail" jede Menge Bilder und Goldene Schallplatten aus den Glanzzeiten der Band. Mit den Musikern, die noch vor dem ersten Welthit "I can't get no satisfaction" im Hinterzimmer des Pubs "Bricklayer's Arms" an der Broadwick Street probten, sind auch die Fans gealtert und zu Geld gekommen: Für den nächsten Sommer buchte Olly für rocktours-Kunden sogar ein paar Zimmer im mondänen Hotel "The Landmark". Die Freaks wollen - koste es, was es muss - unbedingt im gleichen Hotel wie die Stones wohnen. Normalerweise geben sich Rocktourer mit guten Mittelklassehotels zufrieden. In London ist die Nacht zum Schlafen ohnehin zu schade.

Wir fahren um den Piccadilly Circus, vorbei am futuristischen Einkaufs- und Erlebniscenter Trocadero, dem IMAX-Kino und dem "Rock Circus". In dem Museum sind Rock- und Popgrößen (z.B. Elvis, Elton John) in Wachs zu bewundern. Weniger spektakulär das frühere Firmengebäude der "Apple Corps" an der Savile Row, wo die Beatles oben auf dem Dach ihr Abschiedskonzert gaben. Die Dachterrasse ist von unten nicht zu sehen, das Haus ist heute Privatbesitz. Klingeln verboten.

"Welcome to Eric Clapton" steht in riesigen Lettern außen an der Earls Court Arena, der riesigen Halle auf dem Ausstellungs- und Messegelände in Kensington. Ein wenig traurig bin ich schon, ich hätte ihn gerne in der Royal Albert Hall gesehen. Von 1986 bis 1996 gab Slowhand hier jeden Februar/März Konzerte. Das Doppel-Album "24 Nights" wurde 1991 hier mitgeschnitten, 1970 auch schon das Cream-Livealbum "Good-bye". Immerhin habe ich die bei Rockgruppen so begehrte Rundhalle von außen gesehen und einen Blick hineingeworfen, auf den roten Plüsch und die "Boxes"...

Abends bringt "Slowhand" auf der Earls Court-Bühne mit begnadeten Soli 18.000 Menschen in Rage. "A great concert", raunen die Zuschauer sich nachher zu. Alle sind begeistert: Clapton hat außer den Pilgrim-Stücken auch die alten Songs gespielt, und bei der Zugabe steht unerwartet B.B. King neben ihm auf der Bühne. Mit Gitarre, ready for a small blues session. Ich bin hingerissen: Das erlebt man wirklich nur in London! Und allmählich wird mir klar: So eine Rocktour kann süchtig machen. Man müsste mal schauen, ob Clapton nicht doch wieder in der Royal Albert Hall auftritt. Karten? Die sind immer sofort weg. Aber da ist ja noch Olly. Und der wird's schon richten.

Graffiti am Mauersockel vor den Studios

Informationen:

Olly Rudolf
Tel.: 0228-352415 oder
0172-2022647
E-Mail: olly_rudolf@yahoo.de

 

 

 

Olly Rudolf auf der Abbey Road

 

 

 

Graffiti für Freddy

 

 

 

 

Royal Albert Hall - Mekka für Rockbands

 

 

 

Earls Court Arena