Eins geht immer!

Ein Kölsch, ein Dialekt, eine Lebensphilosophie

Der Kölner an sich verreist ungern. Nur ein Werbeslogan? Nein, bittere Wahrheit: Woanders muß er auf sein Bier verzichten, das hält keiner lange aus. Kölsch gehört zu Köln wie der Dom und darf nur in Köln gebraut werden. Das zurrten die Kölner Brauer in der Kölsch-Konvention von 1986 fest, und damit nehmen sie es sehr genau. Nur ganz wenige Braustätten außerhalb der Stadt besitzen eine Braulizenz. Ebenso pingelich achten die Brauer auf das Reinheitsgebot von 1516: Nur aus Gerstenmalz, Hopfen, Hefe und Wasser entsteht beim - heute teilweise rechnergesteuerten - Brauprozeß das klare goldene Nass.

Dieser an sich unkölsche Purismus macht sich bezahlt mit 1,7 Milliarden Mark Umsatz im Jahr (1997) - und der Konsument bleibt ewig dankbar, weil selbst übermäßiger Kölschgenuss selten mit Kopfschmerzen bestraft wird. Und was ist Kölsch? Auch das steht in der Konvention: Kölsch ist ein obergäriges, helles, hochvergorenes, hopfenbetontes, blankes Vollbier - und das gilt für alle 24 Kölschmarken.

"Drink doch eine mit, stell dich nit esu an" - wer kann da schon widerstehen! Den "Bläck Fööss", der Kölner Kultband und Urheberin dieses Liedes, eventuell schon, dem Kölsch nicht. Erst recht nicht dem magischen Trio: Kölsch (das Bier), Kölsch (der Dialekt) und Kölsch (die Lebensart) gehen eine symbiotische Beziehung ein. "Irdische Dreifaltigkeit" hat Nordrhein-Westfalens Altministerpräsident Johannes Rau sie genannt. Damals saß er in einem Kölner Brauhaus und analysierte scharfsinnig beim Kölsch. Natürlich hat er recht: Das Bier an sich ist nicht außergewöhnlich und obendrein Geschmackssache. Aber die Kombination aus Kölsch, urigen Brauhäusern und der lebensbejahenden, kommunikativen kölschen Mentalität entwickelt einen unverwechselbaren Charme.

Wenn der Kölner an sich eines noch mehr liebt als sein Bier, dann den "Verzäll". Um beide Herzensangelegenheiten zu verbinden, sitzt er gern in froher Runde. Er redet viel und mit jedem und nimmt es dabei mit der Wahrheit nicht so genau. Das fällt ihm schon beim ersten Glas nicht schwer, weil er grundsätzlich wenig eng sieht und sich nicht für Detailgenauigkeit interessiert. Hochfliegende Pläne, die vehement beim Kölsch geschmiedet werden, nimmt kein Kölner wirklich ernst - wo kämen wir denn da hin? Wichtig ist nur eine lapidare Frage: Wo bleibt der Köbes mit dem Nachschub?

Der Köbes gehört wie das Kölsch zum Brauhaus und ist ein Kellner, den niemand so nennen darf. Er schuftet sich ab mit dem Kranz voller winziger 0,2-Liter-Stangen, rennt unermüdlich zwischen Fass und Tischen hin und her und hat seinen Stolz: Eine Bestellung wie in Bernd Stelters Karnevalslied "Herr Ober, zack, ein Helles" würde er rigide mit sofortigem Kölschentzug bestrafen. "Köbes, dunn noch ens ene Bier!" - so einfach ist das in Köln. In den Brauhäusern kommt das Kölsch auch schon mal unverlangt auf den Tisch, weil der Köbes davon ausgeht, dass der Gast Durst hat! Und Freude an einem lockeren Spruch - denn unter den Köbessen, längst nicht mehr alle nur Kölner, finden sich noch kauzige Originale, die den Gast nicht nur mit Kölsch, sondern auch mit trockenen Bemerkungen bei Laune halten - vorausgesetzt, der Gast ist geduldig und hetzt den Köbes nicht!

Bier braucht Heimat, auf dieser uralten Erkenntnis gründen fast alle Werbekampagnen rund um das obergärige Kölsch. Dank Hans Sion. Der Anfang dieses Jahres gestorbene einstige Vorsitzende des Kölner Brauereiverbandes überzeugte die Brauer nach dem 2. Weltkrieg, auf die regionale "Spezialität" zu setzen und nur noch Kölsch herzustellen - ein Erfolgskonzept bis heute. Mit Schattenseiten natürlich, denn der Jahresausstoß von 2,9 Millionen Hektoliter (1997) wird künftig nicht so leicht zu übertreffen sein. Stellenabbau, Braustättenschließungen und Unternehmensfusionen zeugen von einem schwierigen Markt, der Mühe hat, sich gegen das übermächtige Pils zu behaupten. Nur knapp drei Prozent des Bierausstoßes in ganz Deutschland rinnen als Kölsch durch durstige Kehlen. Immerhin hält Köln einen Rekord: Nirgendwo in Deutschland wird soviel Bier direkt vom Fass verkauft.

Was wiederum eng mit der lebendigen Kölner Kneipenkultur verknüpft ist. Kölsch ist Kult! Kölsch verbrüdert - wenn auch nur für einen Abend! Und Kölsch hat Tradition. Das veranschaulicht nicht nur die Besichtigung einer guterhaltenen Kölner Braustätte aus der Jahrhundertwende oder die Teilnahme an einer geführten Wandertour durch alte Kölner Brauhäuser. Den Volkskundlern vom Amt für rheinische Landeskunde (ARL) war das Kölsch einen Film ("Bierbrauen in Köln") wert - und mit dem gerade erschienenen Buch "Bierkultur an Rhein und Maas" treten sie - sozusagen amtlich - den Beweis an, dass Bier im Rheinland wichtiger Bestandteil der Alltagskultur ist. Regionale Identität: Wo Rheinländer leben, lachen und feiern, darf das Bier nicht fehlen - auch wenn es nicht immer nur Kölsch ist.

Am Niederrhein und in Düsseldorf wird Alt getrunken - auch ein obergäriges Bier, aber dunkel. Dem Kölner an sich darf man mit Alt nur selten kommen - schließlich neidet er dem Düsseldorfer seit ewigen Zeiten den Landesregierungssitz und hat in diesem speziellen Fall Mühe damit, möglichst nichts eng zu sehen. Immerhin versöhnen ihn Campino und die Toten Hosen - und weil der Grundsatz "Mer muß ooch jönne könne" (man muß auch gönnen können) verinnerlicht ist, prostet er sowohl dem Alt- und auch dem Pilsliebhaber freundschaftlich zu - vorausgesetzt, er selber darf beim Kölsch bleiben. Für diesen Akt der Nächstenliebe findet er ein Ventil im Absingen von Witzen - und diesen erzählt er besonders gern, wenn ein Düsseldorfer in der Nähe ist:

Zwei Kölner und ein Düsseldorfer stehen ganz oben auf dem Kölner Dom. Sagt der eine Kölner: Wetten, dass ich 'runterspringen kann, ohne dass mir ein Leid geschieht? Der Düsseldorfer glaubt es nicht. Also springt der Kölner, landet unten auf der Domplatte - und steht auch schon wieder unversehrt ganz oben auf dem Dom. Dem zweiten Kölner gelingt dasselbe Kunststück - mühelos. Denkt der Düsseldorfer: Was ein Kölner kann, kann ich schon lange! Er springt, dotzt unten auf der Domplatte auf und ist hin!

Sagt oben der eine Kölner zum anderen: Für Engelche sinn mer janz schön fies!!!

Das Kölner Bier und die gut 600 Jahre alte Kölner Brautradition spielen in dem reich bebilderten Bierbuch natürlich eine tragende Rolle - allein schon Grund genug für die Lektüre. Vor allem aber die informativen Ausblicke in viele Richtungen - über Grenzen hinweg in die Nachbarländer, in Geschichte und Gegenwart, auf Werbekampagnen und Wirtschaftsfaktoren, auf Alt und Pils - machen das Bierbuch zu einer ebenso fundierten wie interessanten Rarität. Soviel gab es selten über Bier zu lesen. Und über Kölsch auch nicht oder jedenfalls nicht so schön. ARL-Leiter und Bierbuch-Herausgeber Fritz Langensiepen beschreibt in seiner einführenden Erzählung "Ach, du schöne Welt des Biers" das allererste Kölsch:

"Das ist im Moment das Wichtigste, Therapeutikum, Balsam für die ausgetrocknete Kehle, aber fast noch mehr seelenbelebendes Element. Zuerst der feine Schaum, das Episodische, das die Sympathie erregt, dann das Eintauchen in die zarte Materie animierender Frische, Zug um Zug das zerstäubende Prickeln in seiner Weitdeutigkeit zu spüren, schließlich der Flügelschlag des hingehauchten Aromas und des ach so angenehm bitteren Geschmacks."

Da soll noch einer sagen, Kölsch hätte mit Kultur nichts zu tun! Un jetz loss mer flöck eine drinke jonn!


Wer jetzt sofort nach Köln reisen muss (oder Weiteres wissen will), findet hier ein paar Informationen:

Der Brauhaus-Wanderweg: Treffpunkt: Jeden Samstag, 14 Uhr, Brauhaus Sion, Unter Taschenmacher, Köln. Ohne Voranmeldung, max. 20 Personen. Dauer: ca. drei Stunden, Kosten: 15 Mark
Museum: Historische Braustätte der Küppers Brauerei, Alteburger Str. 145-155, 50968 Köln, Tel.: 0221/96299459, Führung nur nach Terminabsprache, Eintritt: 12,50 Mark
Literatur: Fritz Langensiepen (Hrsg.): Bierkultur an Rhein und Maas. Bouvier-Verlag Bonn, 338 Seiten, 98 Mark
Film: Ingo Konrads: Bierbrauen in Köln, 1995. Videokassette zu beziehen über das Amt für rheinische Landeskunde, Endenicher Str. 133, 53115 Bonn, Tel.: 0228/98 34-0, Fax: 0228/9 83 41 19

Brauhäuser in Köln (Auswahl):
Päffgen Brauhaus, Friesenstr. 64-66 (Innenstadt), Tel.: 0221/13 54 61, geöffnet 10-24 Uhr
Brauerei Zur Malzmühle, Heumarkt 6 (Altstadt), Tel.: 0221/21 01 17, geöffnet 10-24, So 11-23 Uhr
Früh am Dom, Am Hof 12-14 (Altstadt), Tel.: 0221/258 03 89, geöffnet 8-24 Uhr
Küppers Brauhaus, Alteburger Str. 157 (Bayenthal), Tel.: 0221/9 34 78 10, geöffnet 11-1 Uhr

Dunn ens noch ene Kölsch!