©FAZ/Rhein-Main-Zeitung 2004 - Konzert am 8.4.2004 in Frankfurt/Main

"Let it rain" und andere Ohrwürmer

Eric Clapton fasziniert 12.000 Zuhörer in der Frankfurter Festhalle

Von Michael Köhler

Als Eric Clapton sich vor mehr als drei Jahren auf eine lange Konzertreise begab, beteuerte er, daß dies wohl seine allerletzte sei. Doch Clapton, der zum Start seiner aktuellen Deutschlandtournee vor wenigen Tagen in Stuttgart seinen 59. Geburtstag feierte und in den vergangenen zwei Dekaden seinem Ruhm-Zenit in den sechziger und siebziger Jahren nichts wirklich Nennenswertes mehr hinzuzufügen vermochte, ist im Grunde seines Herzens ein umherziehendes Zirkuspferd - und die hören ja auch nicht einfach so auf. "Der Blues", betonte er einmal, "hat mich mein Leben lang inspiriert und mir immer wieder die Kraft verliehen, mit den Unzulänglichkeiten des Alltags fertig zu werden." Im 41. Karrierejahr und kurz vor dem Pensionsalter besinnt sich der britische Gitarrenvirtuose seiner Tugenden und fasziniert über 12.000 Zuhörer in der Frankfurter Festhalle mit einer erstklassigen Lehrstunde in Sachen Blues.

"Me And Mr. Johnson" nennt sich Claptons respektvoll betitelte neue CD mit vierzehn Songs der Mississippi-Delta-Blueslegende Robert Johnson - dem Rock'n'Roll-Mythos schlechthin - , der sich wie ein mystischer Zauber über das zweistündige Gastspiel ausbreitet. Der 1938 im Alter von nur 27 Jahren entweder an der Schwindsucht hinweggeraffte, von einem Nebenbuhler vergiftete oder bei einer schwarzen Messe verstorbene amerikanische Blues-Pionier ist seit frühester Jugend das Idol des Sängers, Gitarristen und Komponisten aus der englischen Grafschaft Surrey, dessen Vita - abgesehen vom frühen Tod - erstaunliche Parallelen zu der von Johnson aufweist. Höhen und Tiefen, durch die auch der millionenschwere Musikus zwischen desolater Kindheit, frühem Erfolg, jähem Drogenabgrund, langjähriger Alkoholsucht, später Läuterung und privaten Schicksalsschlägen gehen mußte, spiegeln sich in dem 12-taktigen Bluesschema der Leiden und Sehnsüchte wieder und verhelfen dem in die Jahre gekommenen Gitarrengott zu einer verblüffenden Verjüngungskur. Zwar offeriert der mit kurzem dunklen Haarschopf, Brille und graumeliertem Sechstagebart erstaunlich jugendlich wirkende Clapton mit "When You Got A Good Friend", "They're Red Hot", "Milkcow Calf's Blues" und "Kind Hearted Woman" gerade mal vier der zeitlosen Johnson'schen Preziosen, doch die ganz und gar unsentimentale Reminiszenz an die eigenen Wurzeln bewirkt bei dem schlicht in dunkelblaue Baumwolle statt gewohnt teurer Armani-Maßanzüge Gehüllten, daß noch weitere, seit Jahrzehnten scheinbar endgültig aus dem Repertoire getilgte Archivnovitäten zutage gefördert werden. 

Und so läßt Eric Clapton, begleitet von einer erstklassigen siebenköpfigen Formation, seine Glanzzeiten mit Klassikern wie "Let It Rain", "I Shot The Sheriff", "Bell Bottom Blues" und "Have You Ever Loved A Woman" wieder auferstehen und erläutert anschaulich, warum jene Phase von den legendären Cream über Blind Faith und Delaney, Bonnie & Friends bis hin zu Derek & The Dominoes seine beste war. Dabei geriert sich der heutzutage zurückgezogen lebende Künstler nicht in erster Linie als glänzender Starsolist, sondern als schlichtes wie spielfreudiges Ensemblemitglied, das ganz nebenbei mit rauchigem Timbre das wohl stimmlich beste Profil seiner gesamten Karriere offeriert. Eine erstaunliche Wandlung für jemanden, der noch vor wenigen Jahren auf seine gesanglich Fähigkeiten angesprochen, stets unsicher und wankelmütig reagierte. Mit ein Grund für die wiedererstarkte Leidenschaft dürfte Claptons Gegenspieler Doyle Bramhall II sein. Der 32 Jahre alte Gitarrist, wie einst Jimi Hendrix Linkshänder, und von erstaunlich beseeltem Spiel zwischen ruppiger Slide- und fragiler Zupftechnik, liefert sich mit seinem unorthodoxen Chef und brillant unterstützt von Schlagzeuger Steve Gadd, Bassist Nathan East, zwei exaltierten Chordamen sowie den beiden Keyboard-Veteranen Billy Preston und Chris Stainton, Sternstunden der Sechsaitenkunst. 

Die in Töne verwandelten Seelenschmerzen der afroamerikanischen Wanderarbeiter aus den Baumwollplantagen der rassistischen Südstaaten verfehlen ihre Wirkung nicht. Der an Robert Johnson erinnernde musikalische Ausdrucks von niedrigem Selbstwertgefühl, Einsamkeit, sexuellem Verlangen und herber Enttäuschung sorgt immer wieder für stürmischen Zwischenapplaus. Noch begeisterter reagiert das Auditorium nur, wenn Clapton abermals tief in der Repertoire-Kiste wühlt und das etwas kitischige Liebeslied "Wonderful Tonight", aber auch swingende Evergreens wie "Cocaine", "Change The World", "Layla" und als Zugabe "Sunshine Of Your Love" in Hochform präsentiert. Der Abend endet mit der feurigen Interpretation des Bluesoriginals "I Got My Mojo Working" - der magische Voodoo-Zauber wird noch Stunden nach dem berauschenden Finale seine Seitenanfang erstaunlichen Nachwirkungen zeigen.

Eric Clapton