Schnuller am Hals

Er ist ein Ruhe- und ein Unruhestifter: der Schnuller, der zunehmend zur Familienplage wird, weil Jonathan auf ihn verzichten soll. Uri Orlev, dem schlauen Kinderkenner, fällt auch zu diesem Thema ewas ein.

Er lässt einen erwachsenen Onkel auftreten, der einen Schnuller als Glücksbringer um den Hals trägt. Das bringt Jonathan auf eine Idee und ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft, aus der Vierjährige am Schluss die Kraft zum Verzicht schöpft.

Uri Orlev/Jacky Gleich: Der Glücksschnuller.
Verlag Beltz & Gelberg, Weinheim 2002, 32 Seiten, 12,90 Euro (ab 2)


Himmel im Regen

Gereimte Poesie ist in die Bilderbücher zurückgekehrt. Klaus Modick und Jub Mönster servieren Lyrisches für Kinder. Ein Sommerregen lockt Marie und Opa Boll auf die nassen Straßen. Der alte Mann weiß, dass ein Regenspaziergang den "Verstand schärft", und noch mehr: "Im Regen kommt der Himmel auf die Erde."

Die Belohnung für die Spaziergänger: ein perfekter Regenbogen - und eine Antwort auf die alte Frage, wo das Ende des Regenbogens ist. Das richtige Buch zum Vorlesen vor dem Einschlafen.

Klaus Modick/Jub Mönster: Sommerschauer.
Lappan Verlag, Oldenburg 2002, 40 Seiten, 12,90 Euro (ab 2)


Mama auf dem Mond

Über das Wollen und das Dürfen gehen die Meinungen oft fürchterlich auseinander. Mamas sind für Verbote zuständig - also muss man sie austricksen. Ein pfiffiger Lausbub schickt seine Mama kurzerhand auf den Mond.

Und dann tobt er sich aus: Eis im Bett, laute Musik, Wandmalereien. Doch als er ungewaschen ins Bett klettert, fällt ihm auf, dass zur Befriedigung der Vorlesewünsche jemand fehlt. Für sein Problem findet der Lauser eine bemerkenswerte Lösung.

John A. Rowe: Aber ich will...
Neugebauer Verlag, Gossau/Zürich 2002, 32 Seiten, 12,80 Euro (ab 4)


Wunder gibt es immer wieder

"Die Beine in die Hand nehmen. Die Hände in den Schoß legen. Däumchen drehen. Diese Redensarten habe ich immer gehasst." So beginnt Jesus Betz seinen Lebensbericht an seine Mutter. Er ist ein Rumpf-Mensch, ein Mann mit Oberkörper und Kopf, ohne Arme, ohne Beine. Geboren in Amerika Ende des 19. Jahrhunderts. Seine frühen Lebenserfahrungen sind eine Aneinanderreihung von Gräueln. Weil er nicht arbeiten kann, ist er ein Klotz am Bein der unverheirateten Mutter. Auch sonst will niemand den Rumpf-Menschen haben. Der Kapitän eines "Seelenverkäufers" nimmt den Unglücklichen schließlich mit auf See, als Posten für den Ausguck. Jesus Betz beobachtet das Meer - und singt für die Matrosen. Denn das einzig Schöne an diesem armen Menschen ist eine wunderbare Singstimme. Als der Kapitän ihn an Floridas Küste aussetzt, beginnt erneut eine Leidenszeit als übel ausgebeutetes Jahrmarkt-Monster, als Teil eines Monstrositätenkabinetts, das in heruntergekommenen Spelunken zwielichtige Gestalten erheitert. In diesem Elend findet Jesus einen Freund, Pollux, einen Rumpf-Menschen mit Armen. Beiden gelingt die Flucht vor ihrem Ausbeuter, beide ergattern eine Anstellung beim Zirkus. Überglücklich fiebern sie ihrem ersten Auftritt entgegen: Pollux jongliert mit Liliputanern, Jesus mit Geschichtszahlen, die er unermüdlich auswendig lernt. Und dann verliebt Jesus sich in die anmutige Trapezkünstlerin Suma Katra.

Fred Bernard treibt die Spannung auf den Siedepunkt. In dieser Anhäufung von Unglück, Pech und Rohheit lauert bedrückend die Gewissheit, dass die schöne Artistin dem Krüppel einen Korb geben wird. Doch dann geschieht das Wunder! Suma Katra, die stumm ist, erhört Jesus' Gesänge und erwidert seine Liebe. Für beide beginnt eine wunderbare Zeit und beruflich eine ganz große Karriere als Duo. "Ich bin glücklich, Mama", lässt Jesus Suma Katra in den Brief an seine Mutter schreiben. Eine fantastische, eine verrückte Geschichte. Aus dem scharfen Kontrast zwischen emotionsloser Erzählung, den Lebensumständen am Abgrund und François Rocas warmtönigen, Hoffnung versprühenden Bildern entwickelt sich eine eigentümliche, sehr fesselnde Magie.

Fred Bernard/François Roca: Jesus Betz.
Verlag Gerstenberg, Hildesheim 2002, 32 Seiten, 18 Euro (ab 6)


©imke habegger 2002